3G2. Charaktergutachten: Arbeiten von Carl Huter
1. Einleitung
1.1 Was fällt an den nachstehenden Berichten auf?
- Am Anfang steht immer eine Aussage über das Naturell. Dann kommen die Einschätzungen von Huter, zunächst über die Charaktereigenschaften, dann über weitere Themen wie Gesundheit, Beruf und Familie. - Eine kleine Abweichung besteht im Untersuchungsbericht über das 9-jährige Mädchen, siehe Ziffer 2.3, unten. Eine konkrete Aussage über den Körperbau-Typ macht Huter hier nicht.
- Huters berichtet in Stichworten und einfachen, kurzen Sätzen.
a. Seine Feststellungen und Empfehlungen sind von maximaler Bestimmtheit und Deutlichkeit. Oft benötigt er nur eine halbe bis maximal zwei Zeilen, um einen einzelnen Bereich der Person zu charakterisieren. Empfehlung über nur eine halbe bis höchstens zwei Zeilen.
b. Huter nummeriert seine Feststellungen und Empfehlungen und damit entsteht zugleich eine Gliederung in entsprechende Abschnitte. Die Empfehlungen über die Kur und die Diät sind nicht nummeriert. Die Berichte enthalten zwischen 15 und 30 Nummern.
c. Der Bericht ist insgesamt 1 - 2 Seiten lang, in Druckschrift und bei der obgenannten starken Gliederung in einzelne Abschnitte. - Die Untersuchungsberichte stammen aus dem Jahr 1902, 1906, 1908 und 1909. Die Art und Weise, wie Huter seine Untersuchungsberichte formal und inhaltlich erstellt, hat sich im Verlauf dieser 7 Jahre nicht geändert. - Man kann sagen: Huter hat bereits 1902 - und wohl schon früher - in einer fachmännischen, ausgereiften Weise gearbeitet.
- Diese Untersuchungsberichte enthalten eine Fülle von Feststellungen und Empfehlungen. Zugleich vermag man sie alle zu überblicken und zu verstehen.
- Auch alle anderen Untersuchungsberichte, die bisher näher durchgesehen worden sind, weisen diese Merkmale auf. Die Kurzgutachten, Charakter-Skizzen, etc. sind aber stets nur 10 - 20 Zeilen lang und enthalten dementsprechend weniger Feststellungen und nur wenige Empfehlungen.
1.2 Was ist sonst noch bemerkenswert, besonders bei den untenstehenden Beispielen?
- Das Gutachten enthält keine physiognomische Beschreibung der Peripherie! Huter nennt direkt die Charaktereigenschaft, gibt direkt die Empfehlung, etc.
- Viele Feststellungen und Empfehlungen beruhen vermutlich auf einer Kombination von psycho-physiognomischer Einschätzung und Intuition.
- Die Gutachten enthalten zudem meist auch Empfehlungen, die sich auf die Ernährung und Ertüchtigung von Körper und Geist beziehen. - Diese Empfehlungen beruhen auf Carl Huters grossen Kenntnissen im medizinischen Bereich. Sie beruhen wohl ebenfalls auf eine Kombination von psycho-physiognomischer Einschätzung und Intuition.
Anmerkung
- Das psycho-physiognomische Sehen ist ein Sehen, das man als fühlendes Sehen bezeichnen kann. Es enthält einen Anteil an Intuition.
- Mit anderen Worten: Die psycho-physiognomische Fachperson taxiert den Menschen in einer Kombination aus psycho-physiognomischer Einschätzung und intuitivem, fühlendem Wahrnehmen.
1.3 Bilder der untersuchten Personen
Es wird abgeklärt, ob zu den Personen, die in den untenstehenden Berichten beschrieben werden, Bilder erhalten geblieben sind. Ein Ergebnis ist bis spätestens Ende 2025 zu erwarten.
1.4 Anmerkung: Übungs-Berichte von Schülern und Schülerinnen
- Huter liess die Schüler und Schülerinnen schriftliche Gutachten schreiben!
- Diese Gutachten sind in der Regel nur ca. 10 bis 20 Zeilen lang. Die betreffende Person äussert sich zuerst zum Naturell. Danach werden weitere Feststellung genannt, offensichtlich ohne dass eine strenge Systematik beachtet wird.
- Die Feststellungen beruhen offensichtlich ausschliesslich auf einer psycho-physiognomischen Untersuchung der Person.
- Die Beschreibung erhält nichts, was teilweise oder ganz mittels Intuition gewonnen wurde.
- Diese Berichte befinden sich im Carl-Huter-Archiv, Bereich 3.1.11, Bild DSC1121 bis DSC1125.
2. Untersuchungsberichte
2.1. Herr H. K., Pforzheim, 1902
Wiedergabe der Niederschrift von Carl Huter
Detmold, den 9. Oktober 1902 Elisabethstr. 37
Beurteilung eines jungen Mannes nach zwei Kabinet- und Visitphotographien im Auftrag des Herrn Hermann Kraut, Pforzheim, Kaiser Wilhelmstr. 12/3 von Carl Huter nach seinem psycho-physiognomischen System
1) Bewegungsnaturell ist vorherrschend, dann schliesst sich das Empfindungsleben in reger Tätigkeit daran an, und schliesslich folgt das Ernährungselement.
2) Sehr gute Auffassungs- und Vorstellungsgabe ist vorhanden, besonders die geistige Vorstellung von erlebten Tatsachen ist da.
3) Ausgezeichnetes Talent zum Spionieren und heimlichen Auskundschaften, daher Interesse und grosse Begabung für Kriminalistik;
4) viel Energie und Tatkraft;
5) Talent für geschickte Handarbeiten;
6) viel Sinn und Verständnis für Form, vergisst bekannte Gesichter nicht wieder;
7) Interesse für psycho-physiognomische Beobachtung und Liebe für psychologische Forschungen;
8) ist sehr fleissig gewesen und wäre Erholung zu pflegen;
9) Leidenschaftlich in Hass und Liebe;
10) Talent zum Hypnotisieren.
11) Die Herz- und Lungenkraft hat gelitten.
12) Auch können Verdauungs- und Darmleiden entstehen.
13) Gefährlich chronisch leidend kann Harnröhrenentzündung werden.
14) Anlage zu Blasenleiden;
15) Anlage zu Rückenmarksleiden.
16) Mitunter kann der Herr hart und rücksichtslos erscheinen, aber es liegt viel Wohlwollen und Mitgefühl auf der anderen Seite.
17) Erwerbssinn liegt vor zur Wahrung der eigenen Existenz.
18) Der Herr muss sich öfter baden und die Wäsche wechseln, da oft starke unangenehme Ausdünstungen auftreten, und zwar stärker als bei den Durchschnittsmenschen, empfehle daher ausserdem auch das Parfümieren.
19) Geschlechtskraft ist mittelmässig und nicht stark, daher muss im Gesundheitsinteresse jedes Zuviel, besonders unnatürlicher Reiz ferngehalten werden.
20) Besonderes musikalisches Interesse bzw. Talent ist weniger ausgeprägt, doch wohl Verständnis für schöne Töne besonders in der Rede und Sprache.
21) Scheinbar grosse Liebe zum Tanzen;
22) mehr zum Kunsthandwerker wie zum Kaufmann geschaffen;
23) Sinn für ernstes Nachdenken und eigene Selbstvervollkommnung;
24) Interesse für Neues und für fortschreitende Kultur. Sinn für schöne Gedichte, Poesie und Sprache.
25) Der Lebensweg ist scheinbar arbeitsreicher, auskömmlicher und wird sich auch weiterhin so gestalten. Im Spiel könnte Glück kommen. Anlage zu zufälligen Vermögensvergrösserungen, doch die Arbeit wird das Zuverlässigste sein.
26) Empfehle alljährlich Erholungspausen durch Fussreisen und Sommeraufenthalt in anderem Klima auf mehrere Wochen.
27) Interesse für mystische Fragen.
28) Herz-, Magen- und Darmleiden können auftreten mit den Jahren. In solchen Fällen rate ich C. Huters Anstalt, Detmold, zu besuchen oder hier Rat zu holen.
29) Die ideale Ideenwelt pflegen, also ethische, ästhetische und wissenschaftliche Dinge – wozu C. Huters Schriften, besonders die Monatsschrift Hochwart zu empfehlen ist.
Carl Huter
2.2 Frau I. S., Blasewitz b. Dresden, 1906
Wiedergabe der Niederschrift von Carl Huter
Detmold, den 19. Mai 1906, Elisabethstr. 29
Psycho-physiognomische Beurteilung der Frl. Irene Schüller in Blasewitz b. Dresden von Carl Huter
1) Empfindungs-Naturell neigt zum harmonischen Naturell;
2) Organische Qualität und geistiger Adel in der ganzen Beanlagung;
3) Sinn für Formauffassung gut;
4) Sehr gute Vorstellungsgabe und Begebenheitserinnerung;
5) Sehr gute Denkkräfte, wodurch die Neigung zur Philosophie entsteht;
6) Überreiche Phantasie, wodurch Hang zu Träumerei und selbst zu Melancholie;
7) Selbstvervollkommnungstrieb;
8) Grosse Idealität;
9) Kunst- und Naturliebe;
10) Selbst wirtschaftlich gut veranlagt;
11) Liebe für Besitztum;
12) Starke Heimatsliebe;
13) Starkes Gewissen und Sinn fürs Rechte, Zuverlässigkeit;
14) Viel Wohlwollen;
15) Jedoch Mangel an Kinderliebe und schlechtes Geschick mit Kindern umzugehen, sie zu pflegen. Dieses ist ein Fehler und muss unbedingt geübt werden.
16) Musikliebe gut;
17) Vorzügliche Anlagen des Gemüts für Dichtung, Philosophie, Neureligion und auch für Psycho-Physiognomik und Kallisophie ganz vorzüglich veranlagt. Es würde mir eine grosse Freude sein, Frl. Irene in meinen Lehren ausbilden zu können.
18) Neigung zu Körpertätigkeit ist schwach, daher ist diese zubilden, es liegt das begründet in zu schwacher Herz- und Lungenanlage.
19) Mangel an körperlicher Widerstandskraft, daher muss der Körper besonders Herz und Lunge planmässig durchgebildet werden.
20) Andernfalls besteht trotz guter Lebenskraft Gefahr, dass Lunge und Blutkreislauf samt dem Herzen degenerieren.
21) Also zu wenig und zu viel körperliche Anstrengung führen zu Herz- und Lungenleiden.
22) Die Nieren sind schwach. Es fehlt dem Körper an Eisen, Mangan, Kalk, Schwefel, Natron und Silizium.
23) Dieses muss durch entsprechende körperliche Trainierung nach meiner Methode möglichst in meiner Anstalt und durch meine Diätkur beseitigt werden.
24) Auch die geistige Vollendung und Beseitigung der Fehler könnte nach meinem System und Unterricht bei mir vollends erreicht werden. Also auch geistige Diät ist nötig als Zügelung der Phantasie, Umgang mit kleinen Kindern, Neigung zu körperlicher Betätigung, harmonische geistige Ausbildung und körperliche Entwicklung.
Wir würden Frl. Irene gern in unserm Haus bei Familienanschluss aufnehmen. Sie hätte Gelegenheit sowohl das gesundheitliche Kochen als auch liebevollen geschickten Umgang mit Kindern. sich anzueignen, neben ihrem Studium in meiner Lehre der Psycho-Physiognomik und alle Gelegenheit zur körperlichen Pflege und Entwicklung bietet sich durch das Kurbad in unserm Hause.
Als Kur ist sehr zu empfehlen:
1) Massage in mildester Form;
2) Freiübungen;
3) Manuelle Gymnastik;
4) Apparate Gymnastik;
5) Terrain Kuren;
6) Freispiele;
7) Tanz, Radeln und Bergsteigen.
Nur so nach dieser Folgenreihe bei bester Kurleitung ist der Körper Vollendung und Widerstandsfähigkeit zu bringen. zur Kraft, Stärke.
Wasserbehandlung darf nur milde und mässig sein. Mildkühle Teilbäder im Sommer, im Winter Wechselbäder, das Bad erst warm und dann mildkühl hinterher abkühlen.
Bezüglich der Diät:
- rote Rüben - gekocht, Salatform;
- Schwarzwurzeln gekocht, Hirse, Reis mit Hagebutten oder Preiselbeeren;
- Rind-, Hammel- und Hühnchenfleisch;
- Aal und Hering mässig zu empfehlen;
- Reichlich Milch- und Eierspeisen;
- Schrotbrot von Roggen, Hafer- und Weizenkorn abwechselnd, auch Suppe, davon mit Rosinen und Korinthen gekocht;
- Erdbeeren mit Schlagsahne und als Kur jeden Nachmittag eine halbe Portion, solange die Erdbeeren jetzt frisch sind;
- alle Kohlarten mit mässig Kartoffeln und gut gefettet essen;
- Kirschen und Stachelbeeren mehr gekocht als roh geniessen;
- Birnen roh essen, Zwetschgen und saure Apfel gekocht. Süsse und wohlschmeckende Äpfel roh essen;
- Himbeersaft gegen den Durst trinken. Bier wenig oder gar nicht;
- schwere Weine und Cognac streng meiden;
- leichter Rheinwein, wenig Rotwein mit Wasser. Sekt meiden oder mässig;
- sich vor Magenüberladungen hüten, aber auch kräftig satt essen;
- Pfirsiche und Apfelsinen sehr zu empfehlen, auch jungen Käse mit Schnittlauch. Gemüsesuppen mehr als Fruchtsuppen essen;
- auch Weinsuppe mit Sago sehr empfehlenswert.
- Einen besonderen auf Herz- und Lungentätigkeit einwirkenden Wein würde ich in meiner Anstalt, wenn Irene hier in Pension lernen käme, empfehlen. Täglich 1-2 Glas, ich machte die besten Kuren damit. Es ist bei Herz- und Lungenschwachen ein von mir zusammengestellter Wein aus den besten bekannten südländischen Gesundheits- und heilkräftigen Naturweinen. Es lässt sich etwas zuhause hiernach leben.
- Als planmässige Durchführung Anstaltskur auf 4-6 Monate hier in Detmold zu empfehlen, das Beste aber zwei Jahre im Unterrichten, Pension bei uns.
In bester Hochschätzung
Carl Huter
2.3 Mädchen, Familie K., 9-jährig, 1908
Wiedergabe der Niederschrift von Carl Huter
Detmold, den 19. Mai 1908, Elisabethstr. 29
Psycho-Physiognomische Beurteilung des neunjährigen Töchterchens des Herrn Dr. med. Klemm in Dresden durch Carl Huter, Detmold
1. Körper etwas vorschnell entwickelt, wodurch die Gehirntätigkeit und geistige Energie zurzeit etwas stagniert. Meiner Ansicht nach darf in den nächsten zwei Jahren keine geistige Überbürdung stattfinden.
2. Grosshirn in normaler Entwicklung, Kleinhirn etwas unter der durchschnittlichen Mittelkraft zurückgeblieben.
3. Die Formbildung und Farbennüancierung des Gesichts lässt schliessen, dass Eisen, Mangan, Natron, Silicium und Schwefel nicht in hinreichender Menge beim Körperaufbau zur Verwendung kommen. Entweder fehlten die richtigen Nährsubstanzen oder aber die Verdauungsorgane zogen nicht mit entsprechender Energie diese Stoffe aus dem Speisebrei.
Um einmal die Nahrungsmittel zuzuführen, welche vorbezeichnete Substanzen in reichlicher Menge enthalten und zweitens, um die Verdauungsenergie anzufachen, empfehle ich folgende Ernährungs- und Lebensweise:
- Linsen gedämpft, gekocht;
- Salat von gekochten roten Rüben, grüne Salate, Brunnenkresse, alle Kohlarten;
- Erdbeeren, Stachelbeeren, - roh mit Schlagsahne, - gekocht als Kompott;
- Hammel-, Rind- und Hühnchenfleisch;
- grüne Erbsen und Bohnen, Schwarzwurzeln, Radieschen; diese Substanzen reichlich geben;
- Brot und Kartoffeln mässig;
- Reis und Griess und Hirse öfter mit Himbeersaft;
- viel Freiübungen und Spiele im Grünen; Leibmassage, Rücken- und Kniemassage;
- Bäder sehr mässig und kurz, wenige Minuten, auf keinen Fall langanhaltende Bäder dulden.
Bezüglich der geistigen Anlagen besteht viel
1) Gemüt,
2) die Auffassung für Formen ist gut,
3) die geistige Energie ist jedoch zu schwach.
4) Grosse Neigung für Naturbeobachtung, und zwar zunächst für Pflanzen, dann für Tiere, zuletzt für Menschen.
5) Über das, was sie erfasst hat, kann sie gute Folgerungen und Urteile entwickeln.
6) Die Fürsorge und Umfassung aller Pflichten, geht ihr ab.
7) Sie hat aber dabei Interesse für Einzelnes in der Wirtschaft.
8) Sobald ihre und ihrer Angehörigen Interessen angegriffen werden, wird sie fürsorglich, energisch, aktiv.
9) Sie hat rege Phantasie und neigt zu Träumereien.
10) Sie muss dieses Hanges wegen öfter zur Tatkraft und Verstandesarbeit aufgemuntert werden, damit die Geistesgegenwart zur bessern Entwicklung kommt.
11) Das Ehrgefühl ist stumpf; für einzelne scharf empfindlich für viele Personen; (1)
12) gegen einen oder einen nahestehenden Bruder usw.;
13) fast etwas dickhäutig - bildlich gesagt;
14) gute Geschicklichkeit mit Unterarmen und Händen;
15) hingegen schlechtes Geschick in den Fingern;
16) Fuss- und Beinbewegungen schwer, empfehle
17) frühzeitige Tanzübungen und
18) anhaltende Konzentration auf die Fingertätigkeit, was durch Stricken, Modellieren bewirkt werden könnte.
19) Der Takt- und Zeitsinn ist schwach, sie kommt leicht aus dem Takt beim Singen.
20) Mässiges Gehör für den Ton ist vorhanden;
21) doch ist die Ohrmuschel nicht so günstig gebaut, um alle Tonwellen zu erfassen resp. aufzufangen.
22) Der Ton kommt also nicht in höchster Reinheit bei ihr zum Bewusstsein.
23) Wenn dieses bei der Erziehung genügend Beachtung finden würde, so wird sich ihr liebes Töchterchen nicht nur befriedigend, sondern zu ihrer Freude gut körperlich und geistig entwickeln.
In vorzüglicher Hochachtung
Carl Huter
(1) So steht es im maschinengeschriebenen Text. Das Manuskript ist vermutlich nicht mehr vorhanden.
2.4. Mann, unbekannter Name, 1909
Wiedergabe der Niederschrift von Carl Huter
Leipzig, Bosestr. 7, den 27. Juli 1909
Psycho-physiognomische-Charakter-Beurteilung eines Herrn in mittleren Jahren nach kurzer Handschriftprobe, zwei Visitphotographien, letztere ziemlich undeutlich im Auftrag von Frl. Martha Opel, Pfarrhaus Görschen bei Stössen, Prov. Sachsen.
Der Herr liegt im Bewegungsnaturell als Grundtypus, teils zum Ernährungs-, teils zum Empfindungsnaturell neigend.
1) Der Herr hat ein lebhaftes Empfinden.
2) Ist stark sexuell veranlagt.
3) Hat anscheinend eine Zeit lang sehr stark getrunken und nach der Photographie zu urteilen, schlummern bei ihm die Anlagen zu sexuellen und auch Trinkexzessen. Es mag sein, dass zurzeit diese Leidenschaften ausgeschaltet sind. Der Herr braucht aber starke Selbstbeobachtung, um nicht in diese Neigungen zu verfallen.
4) Der Herr ist ferner veranlagt gewalttätig zu sein und grausam, auch diese Leidenschaften können bei ihm ausschalten durch starken moralischen Willen. Der Herr hat grosses Interesse für Wissenschaften und besitzt pädagogisches Talent. Anscheinend auch Interesse für Literatur.
5) Viel Sinn für Reformen, poetisch veranlagt.
6) Er ist ein Schalk, kann neckisch, schlau und verschlagen sein.
7) Er kann mit Menschenherzen spielen wie die Katze mit der Maus, er kann sie brechen und rücksichtslos darüber hinweggehen. Der Ehrerbietungssinn ist zu schwach. Die tiefinnere Religiosität nicht rein und heilig genug.
8) Es ist zu viel Sündhaftes, zu viel Unreines mit vielen guten Talenten vermischt.
9) Der Herr kann zu Entartung in sich selbst kommen und zu moralischem Verfall. Er kann selbst gegen andere sehr schweres Unrecht tun.
10) Durch starke Selbstzucht und echten inneren Glauben an das Heilige, Hohe und Göttliche kann der Herr sich nach der guten Seite hin noch recht gut entwickeln. Er hat aber mit sich selbst viele Kämpfe durchzumachen und wahrscheinlich muss er Mithilfe haben, von anderer Seite zu einer edlen, heiligen Persönlichkeitskultur. Der Pessimismus, das Kritische und Verstandesmässige Denken ist zu sehr überwiegend.
11) Der Herr kann ein gemütlicher angenehmer Gesellschafter sein, er kann reizend mit Damen umgehen und hat Gewandtheit im Ausdruck, sowohl in Schrift als auch Rede.
12) Der Herr hat einen psychologischen Blick und sehr viel Sinn für Naturschönheiten.
13) Die Anlage zu Despotismus wird sich geltend machen, wenn er über andere unmittelbar herrschen kann, bzw. über Familienmitglieder, die von ihm abhängig sind. Besonders kann er zu kleinen Quälereien kommen.
14) Es wäre gut, wenn der Herr anstrengende Körperarbeit im Garten und auf dem Felde, neben seinen geistigen Beschäftigungen machen würde, und wäre das eine gute Ablenkung der starken schlummernden physischen Energien.
Dieses ist das Hauptsächlichste, was ich nach den wenigen Zeilen und nach dem Gesichtsausdruck sagen kann.
Sie werden verzeihen, wenn ich diese Charakterskizze, vielleicht nicht so nach Wunsch ausfällt in Bezug der Tugendgrösse; aber ich kann nicht anders, die Wissenschaft muss wahr sein und darf sich durch nichts beirren lassen; sie will lehren und unterrichten - und mein System will ja auch die Menschen auf ihre Fehler und Vorzüge aufmerksam machen, damit Leitrichtungen und Einsichten zum Besseren und Idealen geben, damit erfüllt sie ihren guten Zweck, wenn die Ermittlungen Ratschläge nur befolgt werden.
In vorzüglicher Hochachtung
Carl Huter
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